Mein Marathon-Lauf 2006

Am 27. August war es wieder soweit: der alljährliche Wettkampf, der Marathon-Lauf im Hunsrück ( Hunsrück-Marathon ).

Das Laufen über das Jahr als willkommener Ausgleich zur Büroarbeit, körperliche Ertüchtigung und Aufenthalt an der frischen Luft. Durch den Wettkampf bekommt dies noch eine zusätzliche Komponente. Es motiviert und erhöht ungemein die Disziplin. Durch ein klares Ziel lassen sich Handlungsvorgaben ableiten und Zukunft gestalten. Der Wettkampf wird dann immer als etwas besonderes erlebt. Obwohl es gerade bei Marathon heißt, hier setzt man sich vor allem mit sich selbst auseinander, ist es doch ein gesellschaftliches Erlebnis. Nicht umsonst ist der publikumsstarke Stadtlauf beliebter und auch schneller als der Überlandlauf.

Es sind so viele Aspekte, welche, einmal angefangen, immer wieder zur Teilnahme am nächsten Lauf führen.

Und so ging es auch mir. Im letzten Jahr hatte mich nach dem Lauf mit dem Gedanken getragen, dies zukünftig bleiben zu lassen. Anstrengend war`s gewesen. Sicher nicht gesund. Und doch war mir klar, das ich wieder antreten werde. Wie in den letzten Jahren habe ich Woche-ein Woche-aus das Jahr über trainiert, immer Montag und Dienstag, immer die gleiche schöne Feld-Wald-Wiesen-Strecke über ca. 22km in der schönen Wetterau. Gewechselt wurde lediglich die Laufrichtung. Die große Vertrautheit mit der Laufstrecke trägt auch über die weniger schönen Laufkilometer, die entstandene Verbundenheit mit der Landschaft ermöglicht die totale Entspannung und Sammlung. So habe ich mit großer Regelmäßigkeit zu meinen Training gefunden. Das hohe Gleichmaß wiederum schafft Sicherheit und Selbstvertrauen. Eine positive Rückkopplung, die noch mehr laufen läßt. Ein Selbstläufer sozusagen.

Die eigentliche Wettkampfvorbereitung bestand dann im wesentlichen aus der soeben beschriebenen mentalen Stärkung sowie 3 Läufen über 30 km, je einer in Mai, Juni und Juli. Auch dies wie in den früheren Jahren. Angemeldet hatte ich mich diesmal etwas später, wie immer unter dem LT Karlsruhe, der mich an diesen Freizeitsport so gut herangeführt hat, und dem ich somit auch diesen Wettkampftag verdanke. So bin ich wohl vorbereitet zum Start gekommen. Nebel hing in den Wäldern und kalt wars. Ganz kalt und naß. In den letzten 20 min vor dem Start wird die Anspannung greifbar, äußert sich in viel zu hastiger Auskleidung und nicht funktionierenden Sicherheitsnadeln an der Startnummer. Die Vorfreude auf das Ungewiße, das bevorstehende, das elektrisierende des Laufes blitzt aus vielen Augen. Und endlich der Start. Genau dieser Moment ist absolut irre. Wenn man einen halben Tag lang mit Steinen und Erde einen Staudamm gebaut hat, und läßt diesen dann einbrechen. Da gibts nur eine Richtung, das Wasser läuft nach unten und der Läufer nach vorne. Mit vielen anderen, im Fluß, im Strom, unter Strom.

Ich habe mir vom Vorjahr ein hohes Ziel vorgelegt. Beflügelt durch die richtigen Mitläufer hatte ich die Strecke in 3. 15 Std gemacht. In allen Jahren hatte ich mich bisher verbessert. Und so soll es auch weitergehen. Nur eine Richtung. So habe ich mich diesmal gleich vorneweg so aufgestellt, wie ich letztes Jahr ins Ziel kam. Nur ca. 40 Andere habe ich vor mir akzeptiert. Und so bin ich gleich in die ersten Kilometer. Bei dieser Zeitvorgabe ist kein Platz mehr für Einlaufen und Orientierung. Sogleich habe ich das Tempo des Umfeldes angenommen, viel zu schnell, aber jetzt und begeistert. Alles passt, es gilt. Mit dem Startschuß öffneten sich die dräunenden Nebelschwaden und die dahinter versteckten Wolken, zuerst zu Nieselregen, dann zu Regen. Das ist neu. Die ersten 6 Kilometer ging es dann mit tropfender Nase und sprenkeliger Brille durch das Wohngebiet in Emmelshausen und auf den Schinderhannes-Radweg in die Strecke. Rasch wurde das sich schnell lichtende Läuferfeld taxiert, das eine oder andere farbige T-Shirt als nächster Herausforderung oder als potentieller Partner für den Tag geprüft. Die Mitläufer des Vorjahres waren zwar auch am Start, haben aber sogleich erklärt, mit Rücksicht auf den Frankfurt-Marathon an diesem Tag weniger ehrgeizig laufen zu wollen. Hier hatte ich also noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen. Bei Kilometer 7 war diese gelöst, zwei Läufer gefunden, die viel zu schnell laufen und unter 3.15 von dem Tag erwarten. So konnte es in den eigentlichen Lauf gehen. Nachdem man sich zuerst ein bisschen kennengelernt hat, konnte nun gemeinsam das nun sehr spärliche Läuferumfeld taxiert werden. Bei Kilometer 10 wurde das weiße T-shirt ca. 400m vor uns als die Herausforderung erkannt. Im Wechsel, nach den persönlichen Stärken, hat mal der eine, mal der andere die Dreier-Gruppe gezogen und für Spannung gesorgt. Die Verpflegungsstellen wurden alle mitgenommen, die Kilometer reihten sich aneinander. Die fleißige Streckensicherung auf dem Rad hat uns aufmunternde Worte zukommen lassen ( Ihr seht gut aus! ) , und uns Zwischenzeiten zukommen lassen. Bei 14 Kilometer war dies 1.02 Std. Bei den zahlreichen Steigungen in diesem ersten Drittel signalisierte dies, wir sind auf Kurs. Bei 16 Kilometer erkannte ich: das weiße T-shirt ist richtig schnell. Wir konnten den Abstand nicht verringern. Die ganze Zeit empfand ich die Geschwindigkeit als schnell, zum Teil sehr schnell. Wie soll ich das 42km durchhalten? Aber das ist ja das Wettkampf-Phänomen: hier geht es! Zugleich komme ich zwischen 15 und 25 km in mein persönliches Laufoptimum. So lange brauche ich immer, bis ich richtig warm bin. In dieser Phase könnte ich noch schneller sein, spüre ich auch keine Steigung. Dies ist wohl die Adrenalin-Phase. Auf hohem Niveau wird nun scheinbar ermüdungsfrei Kilometer gemacht. Die Halbzeit bei 21,1km war 1.34Std. Das hätte eigentlich etwas weniger sein müssen, vom Gefühl her. An der 2. Wechselstelle der Marathon-Teams 4x10,5km treffe ich meine zweite Tochter Paula, die auf Ihre Freundin wartet. Sie startet in einer reinen Mädchen-Staffel. In Kastellaun sehe ich als weiteres High-Light kurz am Start der Halb-Marathon-Läufer meine älteste Tochter Sophia. Hier herrscht richtig Stimmung, eine wohltuende Abwechslung nach so vielen stummen Bäumen. Von 25 bis 29 km kommt das längste Steigungstück. Da dies auch in den Vorjahren genau an dieser Stelle war, und nicht weh getan hat, kann ich das mit dem Schwung gleich noch mitnehmen. War dann auch so. Bei Kilometer 29 wartet immer meine Frau auf mich und bietet mir noch einen Zusatz-Drink. Noch ein Grund, bis hier zu laufen. Hier entstehen auch immer die ultimativen Fotos fürs Familienalbum.

Und nun kommt der allerschönste Teil. Nun kommen 5 Kilometer leicht bergab. Zwischenzeitlich hat unser Dreiteam für kurze Zeit Besuch bekommen von hinten, aber nur kurz waren wir zu viert, dann war dieser Kollege auch schon wieder nach hinten verschwunden. Einmal waren wir nurnoch zu Zweit, weil der Dritte sich nach vorne abgesetzt hat. Fast 50 m trennten uns 1-2 Kilometer. Allmählich fanden wir uns aber wieder zusammen. Aber auch dies nur kurz. Unser Dritter hat sich sogleich nach hinten abgesetzt. Er hatte er vor kurzem an der Ostsee eine Iron-Man gelaufen und will sich heute nur warm halten. So ging es zu zweit in die Gefällestrecke, schon immer eine Lust für lange Beine. Und mein Kompagnion hatte zuvor schon immer im Gefällebereich die Spitze besetzt. So kam ich also zu einem lustvollen heruntergerenne, und plötzlich ist man bei 36 Kilometer. So empfinde ich das alles weiter als sehr schnell, noch immer Belastungsgrenze und noch immer geht es weiter.

So komme ich belastet aber doch unbeschwert (das ist noch so ein Wettkampf-Phänomen) in die Schlußphase des Laufes. Die letzten 7 Kilometer. Wenn ich schneller als 3.15 laufen will, gibt es kein Pardon, kein Kilometer ist Nachlassen erlaubt. Nun beginnt das Arbeiten, weiterlaufen, das erleben, das immer noch ein Schritt geht, und der jeweils nächste vielleicht noch schneller als der vorhergehende. Mittlerweile war ich auch wieder alleine. Mein lieber Mitläufer ist immer schneller geworden, oder ich langsamer, und der Abstand liegt bei Kilometer 38 schon bei 20m. Das gleiche Schicksal hatte mich auch letztes Jahr ereilt. Die Schlußphase alleine, ganz alleine, nur mit sich. Und dann noch ein Experiment. Bei den letzten Läufen hatte ich gesehen, das einige ständig Traubenzucker futtern. Ich hatte bisher nur schlechte Erfahrungen mit Essen auf der Strecke gemacht. Aber vielleicht hilft es ja in der Schlußphase, wenn die mentale Ermüdung kommt. Ich hatte also erstmalig Traubenzucker dabei, habe nun begonnen, ganz zaghaft, zu knabbern. Ich war alleine und tapfer, noch immer gut unterwegs, mental aber bereits auf dem absteigenden Ast. Gedanklich werden die letzten Kilometer seziert, in Stückchen geschnitten, sekundenhaft das Rennen von 42 Kilometer in Frage gestellt. Und da hat mir Traubenzucker geholfen. Das weiterlaufen auf dem Niveau, so wie gerade jetzt, einfach nur im Schwung bleiben, mittlerweile in der Ebene,nurnoch 3,4 Kilometerchen erscheint machbar!! Und so wurden diese auch weniger. Übrigens ist auch das schnelle weiße T-shirt allmählich näher gekommen. Den haben wir noch zu zweit bis auf 20 m angegangen. Alleine habe ich mir dann noch geholt. Ja! Und bin dann einige Kilometer zufrieden mit mir und der Welt bis Kilometer 40 neben Ihm hergetrabt. Zufrieden auch deshalb, weil er mir noch immer sehr schnell vorkam. Umso mehr, nachdem klar wurde, das das weiße T-shirt noch einige Jahre mehr wie ich auf dem Buckel hat. Da zu dieser Phase des Laufes auch meiner Geschätzigkeit die Luft ausgegangen ist, blieb er für mich bis zum Schluß das weiße T-shirt. Als es nurnoch 2 km waren, konnte ich keinen Respekt mehr für den lächerlichen Rest aufbringen (vielleicht auch Dank Traubenzucker), und habe mich für den zügigen Abschluß meines Laufes entschieden. Die Wegmarken des nahen Zieles motivierten zusätzlich und es gelang mir ein einsamer und jubelnder Sprint in den Zieleinlauf, wo auch endlich ein helfendes Publikum auf mich wartete.

Die Zeit wollte ich erst kurz vor dem Durchschreiten der Ziellinie anschauen - und habe dies vor lauter Jubel vergessen! Erst nachdem ich meine Finisher-Medaille entgegengenommen hatte, fiel mir ein, das ich meine Zeit noch nicht wußte. Es ist 3:10:09 Std. Somit habe ich wieder alle Ziele erreicht, zum fünften Mal im Hunsrück meine Zeit verbessert und zum fünften Mal in Folge schadlos durchstanden. Erst am Nachmittag hat mich dann ein umfassende Plattheit eingeholt und das Laufen über den Verhältnissen mich mit Frieren und am Abend mit Fibergefühl bestraft.

Während ich in der Altersklasse M45 mit 3:10:09 Std.den 3. Platz (von 42) und in der Gesamtwertung den 17.Platz (von 191) erlaufen habe, konnte Tochter Sophia über 21km mit 1.43 Std. ebenfalls den 3. Platz (von 34) der Hauptklasse (18-30 Jahre) und in der Gesamtwertung den 17. Platz (von 227) erreichen. Tochter Paula hat im Team Ihr Viertel mit 47 Min auch erfolgreich beigetragen, das reine Mädchen-Team selbst hat den 1. Platz mit 3:35:17geschafft, von allen 10 Teams incl. Männer und Gemischt ist dies der 3. Platz. Es wurde übrigens an diesem Tag ein neuer Streckenrekord mit 2:32 auf der nun 6-jährigen Veranstaltung gelaufen.

Zufrieden schließe ich dieses Erlebnis ab, sehr zufrieden auch wieder mit der sehr guten Organisation des Laufes. An keiner Stelle, weder vor wie nach dem Lauf gab es Wartezeiten, Fragezeichen oder Ungewißheiten. Ein empfehlenswertes Lauferlebnis.

Ingo Schabel / Startnummer 121