Der Karwendel-Berglauf am 26. Juli 2009

Früher hätten mich bei der Aussicht auf 1381 Höhenmeter auf 10,6km Strecke keine 10 Pferde an den Start bekommen. Dieses Jahr reicht ein einziger Esel; der Esel, der ich nunmal bin.

Niemand hat bei diesem Lauf das Ziel verfehlt und das „Ende“ erreicht, wie beim Zugspitzlauf letztes Jahr. Während der bekanntere, dank Medien berüchtigte Zugspitzlauf in grob 15km Luftlinie als Extremlauf gilt, wird dieses Attribut dem Karwendel-Berglauf nicht angeheftet. 1924 Höhenmeter Differenz zwischen Start und Ziel, achtbare 2235 Höhenmeter zu überwinden auf 17,9km Strecke und eine luftig-kühle Zielhöhe von 2929üNN weisen den Lauf am Berg der Deutschen als die schwerere Strecke aus.

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Die Strecke (links) ohne den Teil innerhalb Mittenwalds

Der Sonntag beginnt früh für mich, kurz vor 5 Uhr. Als wir um 5:30 losfahren, ist mein Mitfahrer Andreas schon eine Stunde unterwegs gewesen. In früheren Zeiten wäre es Menschen nach dem Aufstehen um das Bestellen des nahen Ackers gegangen, uns geht es dieses Jahr um eine Ernte an Erlebnissen in über 300km Entfernung.

Unser Ziel heißt Mittenwald, ein 8000-Einwohner Städtchen an der Grenze zu Österreich. Die Morgensonne läßt die Fahrt durch grüne Hügel in die Kalkalpen hinein zum Genuß werden. Kalk und Dolomit herrschen vor – ähnlich wie in den südlicheren viel bekannteren Dolomiten in Südtirol. Die Sonne macht an diesem Tag auch keinen Unterschied zwischen den Regionen.

Vor dem Bahnhof parken wir gegen 8:30 nach 3 Stunden Fahrt neben den Läufern mit dem originellsten Sport-Sponsor: Durex. Die Wärme entwickelt sich im zunächst kühlen Tal schnell, so daß wir ohne weiteren Schutz unverhüllt um 9:50 am Start stehen können.

Das Schöne am Verquatschen des Starts ist, daß man nicht so losrennen kann. Die langsamere Masse vor einem bremst und ich nutze diese Chance und kann den ersten Kilometer mehr genießen als sonst. Sehr bald offenbart sich das Profil dann auch als Herz-Kreislauf-Training. Bereits im asphaltierten Dammkarweg hätte mein alter VW Passat einen Infarkt bekommen. Noch fühle ich mich erstaunlich fit.
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Ich bleibe immer wieder stehen und fotografiere das Feld - kleine Erholpausen mit psychologischer Wirkung auf nachfolgende Läufer. Im unteren Teil können die Fotografierten noch grinsen und feixen; das wird sich in der folgenden Stunde ändern. Der Asphalt weicht Schotter und endlich biegen wir in einen Waldweg ein. Was modern Trail Running heißt, verspricht unangemeldete Hindernisse in Form von Steinen und Wurzeln mitten im Weg. Der Mangel an Kraft läßt einige stolpern, manche gar fallen. Der Pfad war der gefährlichste Teil, der schwierigste Teil folgt.

 

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Für Läuferschuhe ungewohntes Terrain erschließt sich nach der Baumgrenze. Kleine Steine, mittlere Steine, große Steine. Kein verbindender Zement, keine Einbettung in Sand, keine Umspülung in Wasser. Bisher erkundete ich diese Zone nur mit festen Bergschuhen – und weiß jetzt sicher, warum das besser so gewesen ist. Die weichen Flachländer-Sohlen verlangen eine ungewohnte Gleichgewichtsübung auf dem steinigen Stück.

An dem speziellen Klang vielfacher Schuttbewegungen hätte mancher Komponist moderner Tonmusik seinen Gefallen. Den skurrilen wie klanglichen Höhepunkt erreicht die Veranstaltung an der Dammkarhütte. Mich irritieren spontane Erinnerungen an Filme, in denen viele, viele Männer sterben – und die in der Normandie spielen. Britische Einheiten erstürmen unter dem Geheul geblasener Schafsmägen den Strand. Der Strand ist keine Realität, die Töne schon. Auf einem Absatz thront und dröhnt ein Dudelsackspieler den müden Läufern entgegen.

 

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Noch irritiert bleibe ich stehen, um zwei Becher in alle Ruhe zu trinken. Die dritte Frau des Classements belohnt mich dafür mit einem Auffahrunfall.

Danach beginnt ein Firnfeld, dessen Oberfläche trotz Schatten leicht naß ist. Ich kann den Schritt nicht wirklich normalisieren. Bei der Steigung braucht man die Hufen und Charlie Chaplin ist ein guter Berater.

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Der Firn mißt vielleicht 400 Meter. Für den Rest der Strecke sind die Läufer dem Geröll überlassen. Das Geröll führt im Namen das Rollen und mit jedem Schritt rollt der Schuh mit dem Schutt nach hinten. Schnell ermüden die Rümpfe wie die Beine und die Läufer sind eine gebeugte Schar. Ein stillschweigender Konsens macht aus dem Läuferwurm eine Wanderergruppe. Für diese Phase sah ich mich schon meine Teleskopwanderstöcke nutzen. Eine Anfrage beim Veranstalter wurde kühl beschieden: es gäbe keine Nordic Walking-Klasse.

Auf 2200m Höhe geht es dann plötzlich in einen Tunnel. Der Tunnel ist für eine andere Jahreszeit und Richtung. Skifahrer dürfen im Dammkar die längste Free Riding-Piste Deutschlands genießen. Der Übergang von starker Sonne auf ein Dämmerlicht im Dunkeln macht blind. Ich wäre mit jedem entgegenkommenden Wanderer kollidiert und hätte meine Umrisse an die Wand gezeichnet, wenn eine Kurve mich in Empfang genommen hätte.

Die letzten Meter gefallen. Die Strecke führt bis kurz unter den Gipfel der Westlichen Karwendelspitze. Ich laufe durch die Salomon-Tore und visiere einen zentralen Gipfel-Absatz an. Dort stehe ich in grob 2380üNN in kurzen Hosen und Hemd einem Mann mit Helm, langen Hosen und langen Hemd gegenüber. Der Klettersteiger hat ernste Bedenken, ich käme in seine Spur. Die Wanderer dagegen sind immens beeindruckt von 83min bis „oben“. Der Sieger braucht eine grobe Stunde und der letzte der 300 Finisher (Team „Karwendelschnecken“) ist nach 3 Stunden 18min am Ziel.

Vom Gipfel erst sieht man, daß die Seilbahnstation durchaus als Übung für eine Mondstation herhalten kann. Die Mondstation hält viele Geschenke bereit. Nicht nur der Kleiderbeutel lagert dort, ein Bier, eine Pasta und eine 70-Euro-Salomon-Jacke kann ich in Empfang nehmen. Es addieren sich die Seilbahnfahrt (Normalpreis 13,50) und Schwimmen im Karwendelbad. Das muß den kühlen Rechner bei 30 Taler Startgeld locken.


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Rechts im Bild das Einlauftor

 

Leider muß ich bald vom hübschen Grund meines Verquatschens Abschied nehmen. Erholt vom Baden steigen Andreas und ich noch zur Brunnsteinhütte auf um mit Obstler-Hans aus Köln den Tag in der Alpen-Abendsonne ausklingen zu lassen.

Berglauf: http://picasaweb.google.de/VereVigilius/20090726MittenwaldKarwendelberglauf?authkey=Gv1sRgCPuRxdGrlerMVQ#
Berglaufstrecke: http://picasaweb.google.de/VereVigilius/20090726_27MittenwaldBerglaufstrecke?authkey=Gv1sRgCJv73-y2kNSgowE#
Landschaft um Westliche Karwendelspitze: http://picasaweb.google.de/VereVigilius/20090726_27MittenwaldLandschaftKarwendel?authkey=Gv1sRgCKbPssfdwOGvCw#

Ortwin Thate

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Erholung muß sein !