Hallo !

Auch nach dem letzten Bericht fühlte sich noch niemand durch den Erhalt läuferischer Erlebnisberichte belästigt, so verbreite ich weiterhin mit der elektronischen Buschtrommel meine gewonnenen Erfahrungen.

Wie einige wissen, war ich in Paris, um dort den Halbmarathon mit meiner Anwesenheit zu ehren. Wir an die hundert Deutschen trafen am Sonntag um 10 Uhr auf 13.900 meist französische Kollaborateure.

Mein Titel läßt leicht an "abgeschlossenes Wasser" denken. Für einen Moment dachte ich bei dem zeitlichen Resultat meiner sportlichen Leistung auch ans Runterspülen ! Doch das Akronym entspringt meinem Studium und bezeichnet den "worst case", eine Messung unter dem widrigsten Umstand. Die Widrigkeit bezieht sich ganz und gar auf die Messung ! Ein Hobbysportler täte schlecht daran, seinen Quarz zum Gott zu erheben. Gerade im prächtigen Paris geht es für jeden Vernünftigen ums Erleben !

Die Geschichte nimmt an meinem Computer zur Weihnachtszeit ihren Ursprung. Ganz angetan von Laufübertragungen aus den fernen Marathonhochburgen London und New York dachte ich an eine Selbstbeschenkung. Primäres Ziel meiner Wünsche war und ist Hamburg. Ein paar Klicks und Tastendrücke weiter war ich in Hamburg gemeldet. Das ging schnell - und mit dem Essen kommt der Appetit. Schnell war ein weiterer Start gebucht: Paris. Der Marathon dort am 7.April ist bei einem Lauf zwei Wochen später in Hamburg ein Ding der Unmöglichkeit. Sofort leuchtete mir ein, daß ein Halbmarathon eine unheimlich gute Vorbereitung sein müsse !

Nach 26 Euro (!) für den Start fielen dann 70 weitere für Hin- und Rückreise mit der Bahn an. Ohne wie bei der Auto-Fahrt ständig Überholen zu müssen, fuhr ich am Freitag bei flackerndem Zug-Licht Paris entgegen. Das Zuglicht war ein Ärgernis, wenn man wirklich lesen wollte. Meine Gedanken waren aber sowieso meist bei einem liebevollen Geschöpf in Rüppurr. Und der Mangel an Gelegenheit zum Überholen sollte noch reichlich ausgeglichen werden.

Am Samstag verbrachte ich mit einer Kommilitonin den Tag. Eine gute Vorbereitung gelang ganz nebenbei. Ich gehe gerne eine Runde Schwimmen am Tag vor dem Rennen. Wir suchten ein Pariser Piscine auf. Im Vergleich zu der Erholung suchenden Menge Leute erschien mir das nicht nur lautlich leicht mit einem "Pißbecken" verwandt. Zwei Bahnen bildeten einen in Frankreich so beliebten Kreisverkehr. Ich hoffe, bei aller hier erwachten Liebe für Rondelle, daß man das nicht in Germaniens Aquadromen übernimmt. Einige Franzosen ließen sich beim Schwimmen von der Technik des 18. Jahrhunderts inspirieren: Raddampfer. Ihre kreisenden Bewegungen versuchten dank der Blindheit des Steuermanns alles Leben im Kielwasser und auch seitlich zu vernichten ! Nach einem Pastaessen a la francaise mit einer Rocquefort-Sahne-Sauce und einem Kinofilm sah ich dem Folgetag mit Vorfreude entgegen.

Sportlich sprach auch alles für eine gute Zeit. Am Wochenende zuvor hatte ich im pfälzischen Auwald erst meine Bestzeiten über 5km auf 17:42min und 20min später über 10km auf 36:30min geschraubt.

Am Sonntag morgen liefs dann etwas "imparfait", nachdem ich die Metro mit einer Unzahl Müllsäcke verlassen hatte. Nicht daß ich noch die Strecke zu säubern gedachte ! Nein, aber viele Pariser Läufer schlitzten sich für die Arme und den Kopf Löcher in große Plastiksäcke, um sich vor dem Lauf frisch zu halten. Ich wollte noch meine Überklamotten, Metrotickets und den Wohnungsschlüssel meiner schwesterlichen Pariser Wohnung in traute Tantenhände legen. Das klappte nicht mehr, 5 Minuten vor dem Start schmiß ich meine Kleidung in einer Plastiktüte über den Zaun zum Maison Maroc und eilte dem Start entgegen. Vorbei an einem langem Mauererschießungskommando aus männlichen Teilnehmern, die ihrer Blase an der Stadionwand Linderung verschafften, sprintete ich nach vorne. Das Problem war offenkundig: Die Organisatoren waren nicht ganz blöde und hatten das Läuferfeld wie eine Hammelherde vor einem großen Schlachthof in eine hohe Bauzaun-Metallabsperrung gepreßt. Mir kam die blendende Idee: Warum nicht die Spitzenstars ganz vorne begrüßen ? Dort müßte schließlich kein Zaun sein ! Dummerweise waren ein paar 2m-Polizisten schwarzer Hautfarbe dort postiert. Denen konnte ich nicht verständlich machen, daß auch weißer Mann schnell laufen kann. Wenige Meter dahinter war noch eine Zaunlücke. Diesmal war es einem kleinem, untersetzten, schwarzen Polizisten vergönnt, meine Hoffnungen auf einen Start aus vorderer Position zunichte zu machen. Kurz entschlossen sprang ich über die Absperrung nach ein paar Metern. Dabei lochte ich mir die Hände an den spitzen Zaunstreben, doch auf den Händen wollte ich ja eh nicht laufen. Das Problem war leicht auszmachen: Vor mir stand ein Drittel des Feldes, also etwa 4.500 Mann. Das sind mehr Teilnehmer als der Karlsruher Halbmarathon je hatte. Ich faßte es als Herausforderung auf ! Vier endlose Minuten nach dem Startschuß überquerte ich die Startlinie, ab jetzt zählte die Zeit, bis mein Championship-Chip am rechten Schuh die Endemarkierung queren würde. Im besten Rehatempo ging es los. Sätze nach links und rechts, Ausweichmanöver am laufenden Meter. Das Tempo war mir eindeutig zu langsam. Ich wich weit entfernt von der Ideallinie, die die 21,1 km abmißt, auf den Rand aus. Mehr als 5 Kilometer lief ich auf Gehsteigen, sprang über Hydranten, machte Bögen um irritierte Hunde, um an Kurven doch wieder vom Feld blockiert zu werden. Jede dieser Blockaden kostet schnell 3 Sekunden auf die Gesamtzeit. Will man ein gutes zeitliches Ergebnis, sollte man sich jede von den gut 3 Dutzend Blockaden, die ich so durchmachte, ersparen. Wie ich später feststellte, war dummerweise der Anfangsteil des Kurses der Teil der Strecke, wo man am schnellsten hätte laufen können. Das ständige Lossprinten und Neubeschleunigen kostet immens Kraft. Im ersten Teil fiel mir kaum auf, daß wir an der neuen Gigantobibliothek des Kaisers Mitterand und der Seine entlangkamen. Zu beschäftigt war ich mit anderen Beinen. Einmal mußte ich abstoppen und trat versehens einen anderen. Geübt in den ständig ausgestoßenenen Formeln "Pardon" und "Excusez-moi" dachte ich an nichts Böses. Doch dieser mediterrane Typ sah sich Opfer eines Anschlags und war im Herzen ein guter amerikanischer Politiker. Er setze mir nach (ich hörte jemand anspringen), und trat mir mit allem, was er hatte, von hinten in die Beine. Mir war nicht nach Krieg zumute, das Laufen machte Spaß und andere hinter mir gaben mit Lauten zu verstehen, was sie von dem Verhalten hielten; so sah ich mich nicht einmal weiter um.

Durch die Begegnungen mit den Polizisten am Anfang bereitete es mir wohl besondere Freude, trainierte Personen vom Big-Mama-Kontinent zu überholen. Dazu gab es massig Gelegenheit. Einige von den Farbigen hatten zwar wie ich kurze Hosen und kurzes Hemd, jedoch riesige Handschuhe. Andere krallten sich die gebotenen Vittelflaschen und liefen auch weit entfernt von den Versorgungsstellen, wo man diese erhielt, wie mit Staffelstäben durch Paris. Blaßkapellen und Cheerleaders in Kurven, von denen man sogar eine rein männliche Kompanie mit Bierbäuchen aufgeboten hatte, und Publikum fast überall boten ständige Ablenkung im sonnig klaren, morgendlich frischen Paris. Hätte ich eine Tafel des Höhenverlaufs zuvor gesehen gehabt, hätte ich gewußt, was auf mich zukommen sollte. Wir liefen in langen Kurven immer höher durch den Bois de Boulogne, einen Park östlich der Innenstadt. Zeitweise sah man die Großstadt nicht mehr ! Plötzlich waren wir umgeben von Parkgelände, Äckern und Fußballfeldern, wo eifrig trainiert wurde, ohne von der endlos erscheinenden, dampfenden Schlange Kenntnis zu nehmen. Einige Jogger und Hundebesitzer verfolgten mit großen Augen den sich windenden Troß in einer der grünen Lungen der Millionenstadt. Nach ein paar Kurven wurde man vom klaren Himmel mit einem weiten Blick über Paris entlohnt. Das Schlußstück war eine lange Gerade über den Boulevard Massena und Kellermann auf das Stadion zu. Auf einer gut 40 Meter breiten Schlucht lief eine lange Schlange - das große Feld hatte ich mittlerweile hinter mir gelassen - dem Stade Sebastien Charlety entgegen. Da ich immer noch am Überholen war, konnte ich den vollen Gegenwind die ganze Reststrecke geniessen. In den vergleichsweise engen Gassen zu Anfang des Rennens war von Luftbewegung nichts zu spüren gewesen. Hier spürte ich das Wetter sich gegen mich stemmen. Die Läufer meiner Vitesse waren weit entfernt, für mich gab es kein Ausruhen oder Windschattenlaufen. So recht gelang es unter diesen Umständen nicht, was mir sonst bei langen Läufen gut gelingt: Wie ein Wal nach dem Einatmen unter Wasser den Puls zu senken und sich stetig, aber ruhig mit einem Herzzschlag, der die das werte Gas nicht zu schnell verbrennt, vorwärtszuschieben. Maßlos beglückend wirkt in dieser Situation, wenn man einen giftigen Anstieg schon aus der Ferne auf sich zukommen sieht. Der Trieb mir den Puls dann nochmal ordentlich in die Höhe, aber auch auf diesen Metern blieb ich mir treu und lief an allem vorbei, was sich bewegte. Oben angekommen kam noch ein Geniesserhäppchen: Eine Unterführung. Nun gut, es geht immerhin zunächst runter. Ein wohl wirklich ganz klein wenig von der Anstrengung gezeichnet lief ich dann ins Stadion ein. Unter den Augen von vielleicht 15.000 Anwesenden konnte nochmal Gas gegeben werden. Zum Publikum hin winkten zur Musik einer Blaskapelle gerade drei der gemeldeten 53 männlichen Supersportler, zum großen Teil Profis aus Afrika. Den eintrudelnden Läufern wie mir zeigten sie dagegen den Hintern ! Der Sieger Wilson Onsaro aus Kenia (4 Kenianer vorne) brauchte 1:01:33h, ich hingegen reell 1:20:43h (das sind etwa 15,75 km/h) als 414ter des Gesamteinlaufs (reell etwa 270, die Zeiten sind nur für die ersten 100 nach "Temps réel" geordnet worden). Im Ziel ging ich dann gleich daran, mich mit Banane und Vittel zu stärken. Meine liebe Tante wartete dort auf mich und verlor vor lauter Aufregung ihren teuren Schal. Zum Glück waren meine Sachen nicht stibitzt worden und dem länglichen Hausschlüssel zur Wohnung meiner Schwester hatte meine Handwärme über die 80 Minuten nichts anhaben können.

Auch wenn wegen Anstieg, Wind und Gedränge die auf den Unterarm gemalte Marschtabelle mit Kilometerankunftzeiten zur Makulatur wurde, war es eine absolut wunderbare Sache !

Hin und wieder kann ich jedem halbwegs begeistertem Läufer anraten, sich einem solchen Event zu stellen. Es ist doch etwas anderes, als einsam oder mit anderen langsame Runden auf meist der gleichen Strecke zu drehen !

Viel Spaß beim Laufen Ortwin